Haiming im 20. Jahrhundert
Die Jahre vor dem 1. Weltkrieg
Wohl kaum ein Zeitabschnitt geht mit einem so umfassenden Wandel in vielen Bereichen einher wie das 20. Jahrhundert. Von 1900 bis heute hat sich Haiming vom landwirtschaftlich geprägten Bauerndorf zu einer wirtschaftsstarken Gemeinde mit wachsender Bevölkerung entwickelt.
Aber nicht nur positive Änderungen, wirtschaftlicher Aufschwung und technische Fortschritte sind mit dem 20. Jahrhundert verbunden, sondern mit den beiden Weltkriegen auch unglaubliche Schrecken, Elend und Not.
Ein Blick auf die Statistik
Wie sehr sich Haiming entwickelt hat, lässt sich an vielen Dingen festmachen, u. a. am Bevölkerungswachstum. Im Jahr 1900 lebten 1.185 Personen in Haiming. Sie wohnten in 222 Häusern, die Kinder besuchten die Volksschulen in Ochsengarten, am Höpperg oder in Haiming Dorf. Rund 100 Jahre vorher (im Jahr 1817) wurden 1.310 Personen in Haiming gezählt – damit sogar etwas mehr als zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Bei der Volkszählung 2001 hat sich der Bevölkerungsstand dagegen auf 3.901 Personen im Vergleich zu 1900 mehr als verdreifacht. Diese Tendenz hält – trotz sinkender Geburtenraten – weiter an, was sich im aktuellen Bevölkerungsstand mit 4.772 Einwohner/innen (Stand 1. Jänner 2021) widerspiegelt. Dabei kam es erst nach dem 2. Weltkrieg zum großen Bevölkerungsschub.
Bevölkerungsentwicklung in Haiming
*Bewohner/innen des Haiminger Lagers inbegriffen (1956 lebten 913 Personen im Lager)
Jahr | Bevölkerungsanzahl |
1817 | 1.310 |
1869 | 1.275 |
1880 | 1.250 |
1890 | 1.211 |
1900 | 1.185 |
1910 | 1.206 |
1923 | 1.270 |
1934 | 1.386 |
1939 | 1.467 |
1951* | 2.761 |
1961 | 2.447 |
1971 | 2.976 |
1981 | 3.263 |
1991 | 3.463 |
2001 | 3.901 |
2011 | 4.349 |
2021 | 4.772 |
Haiming in den Jahren 1900 bis 1914
Die ersten Jahre des 20. Jahrhunderts waren unser Land und damit auch unsere Gemeinde von der Monarchie geprägt. 1908 feierte Kaiser Franz Joseph I. sein 60-jähriges Thronjubiläum. Aus diesem Anlass wurden bei der Kirche in Haiming zwei Linden gepflanzt. Eine dieser sogenannten „Kaiserlinden“ steht im Jahr 2021 immer noch. Die zweite musste im Jahr 2017 aus Sicherheitsgründen gefällt werden. Nach dem 1. Weltkrieg brach die Monarchie auseinander – mit den bekannten Folgen für Österreich und Tirol.
Die Ortsteile von Haiming waren damals weniger miteinander verbunden als heute. Auf den Haimingerberg (der damals noch Silzerberg hieß) gab es keine Fahrstraße, auch Ochsengarten war nur über einen Fußweg erreichbar. Von Ötztal-Ort aus gelangte man nach Schlierenzau üblicherweise mit einer Seilfähre (die Hängebrücke wurde erst 1954 errichtet). Die Station Ötzthal (später Ötztal-Ort, heute Ötztal-Bahnhof) war im Vergleich zu heute noch verhältnismäßig klein, hatte jedoch mit dem Ötztalerhof (früher Sterzinger Hof, erbaut von Alois Sterzinger) bereits einen gut gehenden Gastbetrieb und ab 1913 mit der Lourdes-Kapelle ein eigenes Gotteshaus.
Bäuerliche Lebensweise prägt Haiming
Haiming war zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein von der Landwirtschaft geprägtes und auch davon abhängiges Dorf. Gegessen wurde in erster Linie das, was selbst angebaut wurde. In der Landwirtschaft gab es hauptsächlich Klein- und Kleinstbetriebe, die vor allem Rinder und Schafe hielten und vielfach Erdäpfel und Tirggn (= Mais) anbauten. Mehl wurde in der Haiminger Mühle gemahlen, der Tirggn zu Maismehl verarbeitet, woraus viele Gerichte zubereitet wurden, wie Tirggnmues, Kasmues, Kirschen- oder Traubenmues, Tarppl, Wirler, Druck- oder Wiesennudeln, Peterstanzen, Tirggnknödel. Fleisch gab es, wenn überhaupt, nur am Sonntag. „Regional und saisonal“ waren damals keine Schlagworte, sondern ein Gebot der Zeit. Lebensmittel waren nämlich sehr knapp, die Ernährungslage der Bevölkerung schlecht.
Um 1890 wurden auf Initiative von dem aus Südtirol stammenden Simon Wegleiter auch die ersten Apfelbäume im sonnigen Haiming gepflanzt, was sich schnell als Erfolgsgeschichte herausstellen sollte. So stand im Tiroler Anzeiger vom 29. April 1911 bereits zu lesen: „Bezüglich der Obstanlagen verspricht Haiming nach Jahren das „Lana“ im Oberinntal genannt zu werden.“
Von den Ötztalern erhielten die Haiminger Schmalz, Wolle und Granten – zumeist im Austausch gegen die eigenen Produkte: Ofentürken, Obst und Dörrbirnen („Kloabiren“). Aus den Dörrbirnen wurde in der „Boanstampfe“ in Ambach auch Birnenmehl erzeugt. In der Landwirtschaft wurde fast ausschließlich händisch gearbeitet, Maschinen kamen kaum zum Einsatz. Die Ernte wurde mit Leiterwagen eingebracht, vorgespannt waren meist Kühe.