Der Haiminger Forchetwald
Lebensraum für Pflanzen, Tiere und Menschen
Haiming und Ötztal-Bahnhof liegen eingebettet in einem artenreichen, natürlichen Kiefernwald, dem „Forchet“ (häufig auch „das Forchet“, abgeleitet von „Forche“= Kiefer, Föhre). Der Forchetwald entstand auf dem Kalkschutt, der beim großen Bergsturz des Tschirgants und dem Haiminger Bergsturz am Talboden liegen blieb (siehe Kapitel zum Tschirgantbergsturz). Zuerst besiedelten Flechten, dann Moose die karge Schuttfläche, und zu guter Letzt entstand im Laufe der Jahrtausende der Forchet wie wir ihn heute kennen. Nach wie vor herrschen hier extreme Bedingungen: Auf dem schwer verwitterbaren Kalkschutt hat sich bisher nur ein dünner, nährstoffarmer Boden entwickelt (weniger als 30 cm tief), welcher wenig Wasser speichern kann. Die meisten Baumarten ertragen diese Trockenheit und den Nährstoffmangel kaum, weshalb sich die robuste und tolerante Rotföhre (oder Waldkiefer, lat.: Pinus sylvestris) durchsetzen konnte. Die Rotföhre als Namensgeberin des Waldes ist von Europa bis Sibirien weit verbreitet und kann grundsätzlich Wuchshöhen von bis zu 50 m erreichen. Im Forchet jedoch wachsen die Föhren durchschnittlich nur etwa 8 m hoch, und das oft krumm und in sehr langsamem Tempo. Für großflächige forstwirtschaftliche Nutzung war der Forchetwald nie lohnend, auch weil er unwegsam, und mit großen Gesteinsbrocken durchsetzt ist. Grund und Boden ist im Forchetwald meist Eigentum der Gemeinde, während der Waldbestand auf zahlreiche nutzungsberechtigte Privatpersonen aufgeteilt ist. Die Nutzung beschränkte sich in der Vergangenheit auf die Entnahme einzelner Bäume zum Heizen und die Waldweide, welche bis heute betrieben wird.
Was unsere Vorfahren wohl so manchmal über die „krummen Forchen“ fluchen hat lassen, gibt uns heute jedoch Grund zur Freude: In unserer Gemeinde ist bis heute erhalten, was im restlichen Inntal sonst nicht mehr derartig zu finden ist: ein kleiner Rest natürlichen Talwalds, welcher Lebensraum für eine Vielzahl an Pflanzen- und Tierarten bietet. Auch als Naherholungsraum ist der Forchet von Haiming nicht wegzudenken. Viele Pfade und Wege führen durch den Wald, auf denen Jung und Alt ihre täglichen Runden spazieren. Aber nicht nur für Spaziergänge, auch zum Laufen, Reiten und Radfahren wird der Wald rege genutzt. Geo-Lehrpfade informieren über Geologie, Flora und Fauna im Forchet. Insbesondere Kinder finden im Forchet einen großen Natur-Abenteuerspielplatz und klettern auf so manche „krumme Forche“. Seit einigen Jahren gibt es im Haiminger Forchet nahe der Unteren Gmua den Waldkindergarten, wo die Kinder den Großteil der Zeit in der Natur verbringen. Das alles hat langfristig positive Effekte, da der Aufenthalt in Wäldern gut für unsere Gesundheit und unser Immunsystem ist, wie von wissenschaftlichen Studien gezeigt wird.
Einer der letzten Talwälder
Die Besonderheit des Forchetwaldes ist dabei vor allem seine Lage auf dem Talboden und die damit verbundene schnelle Erreichbarkeit für Anwohnende. Unter den Talwäldern des Inntals ist er gleichzeitig der einzige Wald, der noch derartig naturnahe ist. ExpertInnen sprechen von einem „Reliktföhrenwald“, da er jenen Wäldern ähnelt, die nach der Eiszeit große Teile Europas bedeckt haben, oder die auch heute noch in Kanada zu finden sind. Im Forchet gibt es viele Strukturen, die Lebensraum bieten. Im Totholz beispielsweise wohnen Insekten, aber auch Spechte zimmern gerne ihre Höhlen ins weiche Holz. Diese Höhlen werden auch von anderen Vögeln, wie z.B. Eulen als Brutplatz angenommen.
Charakteristisch für den Forchetwald ist außerdem der Unterwuchs aus Wacholder, Felsenbirne und Erika, die im Frühjahr das Auge mit ihrem rosaroten Blütenteppich erfreuen. Durch den geringen Wuchs der Föhren kommt viel Sonnenlicht auf den Boden. In Kombination mit dem geringen Jahresniederschlag begünstigt das eine ganz besondere Pflanzen- und Tierwelt. Einzigartig ist dabei insbesondere der Reichtum an geschützten Orchideenarten. Die Fliegen-Ragwurz wächst beispielsweise im Forchet und hat einen ganz besonderen Trick auf Lager: Ihre Blüte täuscht die Form einer Wespe vor und lockt somit männliche Grabwespen an, welche die Blüte für ein Weibchen halten. Dabei wird die Pflanze bestäubt – ganz ohne Nektar produzieren zu müssen.
Bunte Tier- und Pflanzenvielfalt
Der Forchetwald wird auch von allerlei Insekten zahlreich bewohnt: Hier finden sich über 50 Ameisenarten, viele gefährdete Laufkäferarten, außerdem auch eine Vielzahl an seltenen Spinnenarten. Der Forchetwald hat unter Zoolog/innen für Aufsehen gesorgt, als die österreichweit seltene Bedornte Höhlenschrecke (Troglophilus neglectus) entdeckt wurde.
Die vielfältige, strukturreiche Landschaft auf ehemaligem Bergsturzgebiet ermöglicht eine bunte Vielfalt an Tier- und Pflanzenarten und erfreut das menschliche Auge. Charakteristisch für den Forchetwald ist das abwechslungsreiche Auf und Ab, die kleinen Hügel, Kuppen, Täler und Senken, sowie die mächtigen im Wald verteilten Felsbrocken, welche an den gewaltigen Bergsturz erinnern. Die höchste Erhebung im Haiminger Forchet ist die Umhohler Höhe mit 724 m, welche einen hübschen Blick über Haiming und weiter das Inntal hinunter bietet. Der Inn und die Ötztaler Ache haben sich im Laufe der Jahrtausende schlängelnd einen Weg durch die Schuttlandschaft gegraben, und fließen heute in mehreren Windungen das Tal hinunter. Der gesamte Forchetwald erstreckt sich über die Gemeinde Haiming, sowie die westlich angrenzenden Gemeinden Sautens und Roppen. Ursprünglich (das älteste verfügbare Kartenmaterial stammt aus 1805) bedeckte das Forchet die gesamte Talsohle zwischen Haiming, Sautens und Roppen, wobei das Haiminger Forchet (östlich der Ötztaler Ache) den Großteil des gesamten Forchets ausmachte. Seit den 1950er Jahren hat der Flächenbedarf für Siedlung und Gewerbe jedoch stark zugenommen, was zu einem Rückgang des Haiminger Forchets auf etwa die Hälfte des ursprünglichen Ausmaßes führte. Laut Bescheid des forstfachlichen Amtssachverständigen vom 25.8.2015 wurden etwa innerhalb von neun Jahren (2005 – 2014) insgesamt 26 ha umgewidmet und gerodet. Im Zuge der Neuerstellung des Örtlichen Raumordnungskonzepts im Jahr 2020 wurden weitere 12 ha Forchetwald beim Land zur Umwidmung beantragt und freigegeben.
Derzeit (Stand 2020) umfasst das Haiminger Forchet noch etwa eine Fläche von 200 ha.
Kleinere Teile des Haiminger Forchets, sowie ein Großteil des Forchetwaldes auf Sautener und Roppener Gemeindegebiet wurden im Jahr 2009 als Naturschutzgebiet „Tschirgant-Bergsturz“ ausgewiesen, um den wertvollen Lebensraum für Pflanzen, Tiere und Menschen langfristig zu schützen. Dabei sind land- und forstwirtschaftliche Tätigkeiten in naturverträglichem Ausmaß nach wie vor erlaubt. Nicht Teil des Naturschutzgebiets ist derzeit (2019) der Haiminger Forchet zwischen Haiming und Ötztal-Bahnhof, sowie ein breiter Streifen westlich von Ötztal-Bahnhof. Es bestehen Bemühungen das Schutzgebiet auf den gesamten Forchet auszuweiten, um unser einzigartiges Haiminger Naturerbe für nachfolgende Generationen zu erhalten.