Nationalsozialismus und der 2. Weltkrieg
Die Jahre 1938 bis 1945 – 74 Gefallene und 24 Vermisste
Nach dem Einmarsch der Deutschen Wehrmacht im März 1938 und dem „Anschluss“ Österreichs an Hitler-Deutschland, ergriffen die Nazis auch in Tirol die Macht. Jegliche Opposition und Widerstand wurde unterdrückt und verfolgt. Die Angst vor Denunziation, die Repressalien gegen Andersdenkende sind für uns heute kaum mehr vorstellbar. Im September 1939 begann das Deutsche Reich mit dem Überfall auf Polen schließlich den Zweiten Weltkrieg – mit entsetzlichen Schrecken und Leid für die gesamte Menschheit. Schätzungsweise fielen dem Zweiten Weltkrieg 70 Millionen Menschen zum Opfer.
Auch in Haiming hinterließen das Nazi-Regime und der Zweite Weltkrieg seine grausamen Spuren. Mit Sicherheit könnte man damit ein eigenes Buch füllen. Verfolgung und Euthanasie gingen in vielen Fällen mit Denunziation einher. Oft reichte ein Witz über den „Führer“ oder eine leise Kritik am Regime, um in den Fängen der Nazi-Schergen zu landen. Glück hatten jene, die „nur“ in den Kerker kamen, manche landeten im KZ oder wurden umgebracht. Ebenso wurden psychisch Kranke in der Nazi-Zeit systematisch verfolgt.
Beispielgebend für die Schrecken des Nationalsozialismus werden die Schicksale einiger Haiminger und Haimingerinnen gezeigt, die Opfer von Euthanasie und/oder (politischer) Verfolgung wurden oder als Soldat den Krieg hautnah miterleben mussten. Daneben werden auch die Entwicklungen an der Volksschule Haiming und die Bombenabwürfe auf Haiminger Gemeindegebiet behandelt. Ein gesonderter Abschnitt ist dem Lager Haiming gewidmet, in dem Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene am Bau des Kraftwerksprojekts bzw. des Windkanals arbeiten mussten.
Gegen das Vergessen von unschuldigen NS-Opfern
Das Schicksal von Maria Kapeller, geborene Wegleiter
Das Schicksal von Maria Kapeller, geborene Wegleiter ist exemplarisch für die Auslöschung „unwerten Lebens“. Maria kam am 02.03.1889 als Tochter des Simon und der Aloisia Wegleiter, geborene Haid, auf die Welt. Sie heiratete am 11.09.1916 den Witwer Franz Josef Kapeller, Bauer in Magerbach. In die Ehe brachte sie die ledige Tochter Rosa mit. Ein tragisches Unglück besiegelte das weitere Schicksal von Maria. Ihre zweijährige Tochter Hilda ertrank am 04.07.1927 in Magerbach. Das Unglück passierte während die Familie Kapeller mit Heuarbeit beschäftigt war. Maria hat dieses Unglück nie verkraftet, außerdem soll ihr von manchen Menschen aus der näheren Umgebung die Schuld am Ertrinkungstod ihrer Tochter gegeben worden sein. Sie kam mehrmals zur Behandlung in die Landes-Heil- und Pflegeanstalt nach Hall. Als sich ihr Gesundheitszustand deutlich verschlechterte und sie nicht mehr arbeiten konnte, wurde sie am 10.12.1940 nach Schloss Hartheim bei Linz deportiert und dort am 16.01.1941 ermordet. Um den Angehörigen Nachforschungen zu erschweren, stellte das Sonderstandesamt Hartheim die Todesurkunden aus. Todesart, Todeszeitpunkt und Sterbeort wurden bewusst gefälscht. Im Falle der Maria Kapeller wurden zwei verschiedene Todesorte angegeben: Hademar in Mittelhessen und Limburg an der Lahn. Maria Wegleiter hinterließ fünf Kinder, von denen zwei volljährig waren. Ihr Ehegatte Franz Josef Kapeller war bereits 1934 verstorben.
Bild rechts: Maria Kapeller, geb. Wegleiter wurde am 16. Jänner 1941 in Linz ermordet. Auf dem Sterbebild ist Hademar als Sterbeort angegeben.
Die Euthanasieopfer Johann und Anton Leitner
Auch die Brüder Johann und Anton Leitner, Söhne des Johann „Zedler bzw. Glasers“ und der Anna Maria Leitner, geb. Stigger, fielen dem Euthanasieprogramm zum Opfer. Sie wurden im Mai 1939 in die Irrenanstalt nach Mils bei Hall gebracht. Am 11.6.1941 traf bei der Mutter Maria Leitner die schriftliche Nachricht aus Hartheim, OÖ, ein, dass ihre zwei Söhne, und zwar Anton Leitner am 10.06.1941 um 23:20 Uhr im Alter von 28 Jahren und Johann Leitner am 11.06.1941 um 3:55 Uhr mit 24 Jahren, infolge Ruhr- und Kreislaufschwäche gestorben seien. Geboren wurden die beiden Euthanasieopfer in Silz Nr. 104, da ihre Eltern Johann und Anna Leitner damals in Silz als Bauersleute tätig waren. Später sind sie dann wieder nach Haiming gezogen und haben in der Au gewohnt. Von den beiden Söhnen gibt es keine Fotos.
Denunziationen und Verfolgung politisch Andersdenkender in Haiming
Franz Prantl, „Bascheler“
Ein Gasthausbesuch am 28.01.1939 im Römisch Deutschen Kaiser in Mötz hatte für den vom Silzerberg, Pfaffeneben Nr. 7 stammenden Franz Prantl „Bascheler“, geb. am 16.11.1902, schlimme Folgen. Seine Kritik am Regime, die vom Gastwirt und weiteren Zeugen bestätigt wurden, wurde dem Bauernsohn übelgenommen. Er wurde wegen Vergehen nach dem Heimtückegesetz zu vier Monaten Gefängnis verurteilt. Franz Prantl starb am 01.06.1965 in Schloss Petersberg/Silz.
Karl Schaumberger
Der ledige Karl Schaumberger, geb. 1901 in St. Leonhard bei Freistadt, OÖ, Maurer im Wohnlager „Beinkorb“ und ehemaliges Mitglied der Sozialdemokratischen Partei, besuchte am 11.01.1942 das Gasthaus Stern „Zickeler“ in Haiming. Dabei hat er zu einem weiteren Gast gemeint, dass er „lieber für Moskau als für die Heimat kämpfe“. Nach einer Anzeige bei der Gestapo wurde Karl Schaumberger nach einem Prozess beim Landesgericht Innsbruck, in dem neben den Wirtsleuten zahlreiche weitere Gäste als Zeugen befragt wurden, am 17.04.1942 wegen Vergehens nach dem Heimtückegesetz zu acht Monaten Gefängnis verurteilt. Über das weitere Leben von Karl Schaumberger nach der Verurteilung ist nichts bekannt.
Emil Glatz, wegen Fahnenflucht verurteilt
Wegen Fahnenflucht wurde Emil Glatz, geboren am 24.12.1918 in Haiming, Schlierenzau Nr. 7 am 27.07.1943 von einem Kriegsgericht zu zwei Jahren Zuchthaus und zur Wehrunwürdigkeit verurteilt. Aufgrund einer Kriegsverletzung war er ab Juni 1943 einer Transporteinheit in Innsbruck zugeteilt. Als er am 3. Juni nicht vorschriftsgemäß zum Dienst erschien und dem Hauptfeldwebel „freche Antworten“ gab, wurde er zunächst mit drei Tagen geschlossenem Arrest bestraft. Die Strafe konnte wegen Platzmangels im Arrestraum aber nicht gleich vollstreckt werden. Am 4. Juni verließ Emil Glatz nach Dienstschluss seine Einheit.
Vor Gericht gab er später an, dass er zunächst nach Mötz fuhr, sich von dort über Nassereith nach Imst, über das Pillerjoch nach Ladis, Fiss, Serfaus und Nauders durchschlug. Er trug seinen Angaben zufolge Zivilkleidung, um nicht sofort als Soldat erkannt und festgenommen zu werden. Seine Uniform hatte er in einem Bach entsorgt. Festgenommen wurde Glatz dann aber vom 8. auf den 9. Juli 1943 im Armenhaus in Haiming. Hier wohnten zu dem Zeitpunkt seine Mutter und sein Bruder Eduard. Emil Glatz hatte sich in einer Erdgrube unterhalb des Bettes seines Bruders versteckt. Er gab an, dass er sich aus Angst vor der drohenden Disziplinarstrafe von seiner Truppe entfernt hatte und um seine Mutter zu sehen und dass er freiwillig zu seiner Truppe zurückkehren wollte.
Die Vermutung des Gerichts, dass sich Glatz während der ganzen Zeit bei seiner Mutter in Haiming verborgen gehalten hatte, konnte nicht bewiesen werden. Das Gericht verurteilte ihn aber als Fahnenflüchtigen zu zwei Jahren Zuchthaus. Emil Glatz war der Sohn des Nikolaus Glatz, Landfahrer, und der Rosina Monz. Über seinen weiteren Lebensweg ist nichts bekannt.
Gottesdienste: Nicht für alle!
Auch der Haiminger Pfarrer Lorenz Prieth hat die strengen Vorschriften des Nazi-Regimes zu spüren bekommen. Polnische Zivilarbeiter hatten an den Gottesdiensten am Sonntag teilgenommen. Die Gestapo ließ dem Pfarrer Lorenz Prieth über ein Schreiben des Imster Landrates ausrichten, dass derartige Verstöße unter allen Umständen zu unterbinden seien und er als Seelsorger für die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen mitverantwortlich sei und bei neuerlichem Verstoß mit den strengsten staatspolizeilichen Maßnahmen zu rechnen wäre.
Am 10. März 1943 nahm Pfarrer Prieth die entsprechende Kanzelverkündigung vor und teilte den Polen mit, dass sie nicht mehr an den Gottesdiensten teilnehmen dürften.